pte20081023035 Technologie/Digitalisierung, Medien/Kommunikation

Mozilla: "Google ist keine Non-Profit-Organisation"

CEO John Lilly im pressetext-Interview über die Zukunft des Webs


Mozilla-CEO John Lilly im Gespräch mit pressetext (Foto: mozilla.org)
Mozilla-CEO John Lilly im Gespräch mit pressetext (Foto: mozilla.org)

Berlin (pte035/23.10.2008/13:54) Die Erfolgsgeschichte des Open-Source-Browsers Firefox ist beispiellos. Ursprünglich von gerade einmal zwei unbekannten Web-Enthusiasten auf Schiene gebracht, kann der größte Konkurrent des Internet Explorers mittlerweile Tausende freiwillige Entwickler, mehr als 200 Mio. User und einen Marktanteil von bis zu 30 Prozent in Europa vorweisen. Das Business-Modell ist ebenfalls einzigartig. Anders als Google, Microsoft und Co. versteht sich die dahinter stehende Mozilla-Foundation http://www.mozilla-europe.org weiterhin als rein gemeinnütziges Unterfangen. In Berlin sprach pressetext mit Mozilla-CEO John Lilly über die Zukunft des Webs und warum man Google trotz seiner kostenlosen Webservices keinesfalls mit einer Non-Profit-Organisation verwechseln soll.

pressetext: Sie sind seit Anfang des Jahres CEO bei Mozilla. Welchen persönlichen Zugang haben Sie zum Thema Internet und wie sehen Sie Mozillas Rolle bei der Weiterentwicklung des Webs?
Lilly: Das Internet ist die wichtigste Innovation in unserem Leben und führt zu einer viel intimeren Vernetzung von Menschen, als es früher der Fall war. Mozilla und Firefox sind aus der Frustration heraus entstanden, dass ein globaler Player die Weiterentwicklung des Webs behindert hat. Unser Zugang damals war ein radikal anderer. Wir konnten zeigen, dass man kein kommerzielles Geschäftsmodell braucht, um Innovation voranzutreiben.

pressetext: Ungeachtet des idealistischen Zugangs konkurriert Mozilla mit seinen Produkten dennoch mit Branchengiganten wie Google, Microsoft oder Apple. Kann das auf Dauer gutgehen?
Lilly: Unser Umsatz, etwa durch die Integration der Google Suche in Firefox, betrug 2006 rund 66 Mio. Dollar. Wir beschäftigen weltweit gerade einmal 200 Leute. Dass man mit diesen Strukturen Dinge anders angehen muss, ist klar. Bei Mozilla funktioniert der Großteil über Partizipation der User. 42 Prozent des Programm-Codes von Firefox stammen von freiwilligen Entwicklern. Auch der Großteil der 6.000 Erweiterungen und über 60 lokalisierte Versionen gehen auf den Einsatz der Community zurück.

pressetext: Googles überraschender Launch des eigenen Browsers Chrome hat in der Mozilla-Community für Aufregung gesorgt, zumal Google über die Such-Einbindung in Firefox auch wesentlich zur Finanzierung des Projekts beiträgt. Droht der gemeinsame Weg auseinanderzugehen?
Lilly: Natürlich wäre das Leben für uns ohne Google Chrome einfacher. Gleichzeitig muss man aber sehen, dass Google und Mozilla trotz einiger gemeinsamer Ziele immer grundverschieden waren. Google war und ist keine Non-Profit-Organisation. Es will die Welt zum Guten verändern, aber im Hintergrund sind da natürlich immer auch die Aktionäre. Bei Mozilla geht es hingegen einzig und allein darum, das Web und den Umgang damit zu verbessern. Dieser Unterschied wird jetzt vielleicht verstärkt wahrgenommen als früher.

pressetext: Besteht aus Ihrer Sicht nicht die Gefahr, dass mit der Dominanz Googles bei webbasierten Diensten ein ähnliches Monopol entsteht, wie wir es im Software- und Browserbereich von Microsoft gewohnt waren.
Lilly: Diese Bedenken werden von vielen Branchenbeobachtern und Medien immer wieder geäußert. Ungeachtet dessen hat Google unbestritten dazu beigetragen, die Welt und vor allem das Internet zu einem besseren Ort zu machen. Dass ein IT-Unternehmen einen neuen Browser komplett Open-Source entwickelt, zeigt wie weit wir bereits gekommen sind.

pressetext: Inwiefern unterscheidet sich Googles Browser von Firefox?
Lilly: Die Philosophie ist eine gänzlich andere. Während bei Chrome das User-Interface komplett in den Hintergrund rückt und alles minimalistisch gehalten ist, sehen wir das Interface mit all den Gestaltungs- und Erweiterungsmöglichkeiten als zentrales Element. Das ist das, was deinen personalisierten Browser ausmacht und nur dir gehört: Die Bookmarks, der Verlauf, die Add-ons, die privaten Daten.

pressetext: Hat Sie der Erfolg von Mozilla und Firefox in den USA überrascht? Ideologisch motivierten Enthusiasmus schreibt man ja sonst eher den Europäern zu.
Lilly: Europäer besitzen ein stärkeres Wertebewusstsein, wenn es um die Beurteilung von Unternehmen oder Produkten geht. Das sieht man auch in der Lebensmittelbranche, etwa bei der Popularität von Bio- oder Fair-Trade-Gütern. Im höheren Marktanteil von Firefox in Europa spiegelt sich dieses Denken als Reaktion auf das Internet-Explorer-Monopol ebenfalls wider. Den Amerikanern hingegen geht es eher um das Produkt selbst. Die wollen den Browser haben, der ihren Ansprüche am ehesten gerecht wird.

pressetext: Wie hat Mozilla das explosionsartige Wachstum des Firefox-Projekts verkraftet. War die Vernachlässigung und schließliche Neuorganisation der Mail-Client-Entwicklung der Preis für den schnellen Browser-Erfolg?
Lilly: Das Thema E-Mail muss im Zusammenhang mit anderen Kommunikationsformen wie Instant Messaging, Blogging, SMS, Skype aber auch Facebook betrachtet werden. Ich glaube, da wird es in Zukunft eine übergreifende Lösung geben müssen. Auch die Popularität von Webmail-Diensten wirft natürlich Fragen nach der Zukunft eines Desktop-Mailprogramms wie Thunderbird auf.

pressetext: Und wie sieht diese Zukunft Ihrer Meinung nach aus?
Lilly: Dass Mozilla öffentlich zugegeben hat, dass uns der Weg nicht ganz klar ist, mag für viele schockierend gewesen sein. Das wäre aus dem Mund von Steve Jobs oder Steve Ballmer natürlich undenkbar. Mit der neuen Unterorganisation Mozilla Messaging sind da aber die Weichen neu gestellt. Einerseits wird der Desktop-Client weiterentwickelt und um Kalender- und Suchfunktionen ergänzt. Anderseits wollen wir auch experimentellere Kommunikationsansätze, wie im Projekt Snowl dargelegt (pressetext berichtete: http://www.pte.at/pte.mc?pte=080808004 ), einfließen lassen.

pressetext: Wie weit ist Mozilla in der Entwicklung eines eigenen mobilen Browsers? Mit Opera und der iPhone-Version von Safari sind bereits ambitionierte Produkte auf dem Markt. Sind Sie da nicht zu spät dran?
Lilly: Der iPhone-Browser ist ein vielversprechender Start, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir immer noch ganz am Anfang stehen. Die Entwicklung geht dahin, dass der mobile Browser eine Entsprechung des Desktop-Browsers sein wird - mit allen Erweiterungen und Personalisierungsmöglichkeiten. Mit unserer mobilen Firefox-Version Fennec wollen wir im Laufe des nächsten Jahres hier ein kräftiges Lebenszeichen abgeben. Teil dieser Entwicklung bei Mozilla wird sein, dass besuchte Seiten und Bookmarks, aber auch persönliche Einstellungen, geräte- und plattformübergreifend synchronisiert werden können.

pressetext: Stichwort Firefox 3.1 - Was dürfen sich User von dem geplanten Versionsupdate erwarten?
Lilly: Der neue Browser geht ab wie eine Rakete. Ab der Beta 2, die in den nächsten Wochen erwartet wird, werden wir die TraceMonkey-Engine standardmäßig freischalten. Im Java-Script-Bereich sind wir damit zehnmal schneller als der neue Internet Explorer 8. Die nächste Beta wird auch die Funktion "Private Browsing" inkludieren, die auf Wunsch die Aufzeichnung der eigenen Browsernutzung im Verlauf und Cache stoppt. Dazu kommen neue Technologien, die für Entwickler von Webseiten interessant sind, wie die Unterstützung des Open Video Formats und möglicherweise die Integration von einigen experimentellen Features aus unseren Mozilla Labs.

pressetext: Herzlichen Dank für das Gespräch.

(Ende)
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